Zeitreise

 

Fluch und Segen

Hundehaltung - früher und heute

 

Der Wohlstandshund

Der Wecker klingelt um 7.30 Uhr. Der Wohlstandshund kennt das Geräusch und weiß, es besteht kein Grund zur Eile. Denn Frauchen wird erst beim zweiten mal, wenn die Uhr schreit, das Bett verlassen und auch dann dauert es noch eine Weile bis es nach draussen geht. Der Wohlstandshund drückt sich also noch etwas enger an das Frauchen und dreht sich unter leisem Stöhnen auf den Rücken, gräbt die Schnauze tiefer in die Decke. Erst als Frauchen die Schuhe anzieht und die Leine klirrt, bequemt sich der Wohlstandshund aus dem Bett, streckt sich unter genüßlichem Grunzen und tritt den Weg zur Haustür an.

Er weiß, was jetzt kommt: Mit dem Auto geht es auf die Felder. Vor dem Kofferraum wartet er bis Frauchen ihn hinein hebt – schließlich leidet er unter Arthrose! Dann geht es raus auf die Felder. Er darf ohne Leine laufen – aber nicht so weit weg! Es könnten ja irgendwo Passanten, andere Hunde, Wild oder sonstige Gefahren lauern. Dann wird Frauchen immer ganz hysterisch. Der Wohlstandhund auch. Frauchen macht ihn nervös.
Auf dem Rückweg zum Auto wird der Wohlstandshund ganz langsam. Frauchen riecht genervt, unterstellt dem Wohlstandshund sogar, sich nur zurückfallen zu lassen, um „Scheiße“ zu fressen, ohne dass es wer merkt. Das ist zwar ein positiver Nebeneffekt, aber der eigentliche Grund ist, dass der Wohlstandshund nicht wieder nach Hause möchte, wo er sich acht bis zehn Stunden langweilt bis das Frauchen wieder kommt. Zum Glück darf er heute mit ins Büro. Dort ist es zwar auch nicht sonderlich spannend, aber zumindest kann man Krümel vom Boden aufklauben oder bei den anderen Menschen dort Streicheleinheiten abgreifen. Manchmal geht es Mittags in den Park. Frauchen läuft dann immer mit einer Tüte hinter dem Wohlstandshund her, sammelt die „Scheiße“ auf. Von der Leine darf der Wohlstandshund nicht sonst wird Frauchen von Fremden gemaßregelt und der Wohlstandshund heißt plötzlich „Miestvieh“.
Nach einer Weile im Büro geht es wieder zum Auto, wieder auf die Felder und wieder nach Hause. Dort gibt endlich etwas zu Essen, eingeweicht in Wasser und verfeinert mit einigen Löffeln Hüttenkäse, manchmal auch mit Ei oder Rinderhack. Seit der Wohlstandshund aber ein bisschen zu viel auf den Rippen hat – ja, der Tierarzt nannte ihn sogar „leicht adipös“! – gibt es meist den mageren Hüttenkäse.
Das Frauchen schaut dann in den Flimmerkasten. Der Wohlstandshund rollt sich in ihrer Kniekehle zusammen. Seit er etwas älter ist, schnarcht er leise. Manchmal zuckt er ein wenig wie im Traum. Später: Ein letztes Mal pieseln und wieder ab in die Heia.

Der Wohlstandshund ist jetzt elf Jahre alt. Das Frauchen überlegt schon jetzt, ob sie ihn im Todesfall begräbt oder einäschern lässt, um die Urne an einem besonderen Platz aufzustellen.

Der Nicht-Wohlstandshund

Der Nicht-Wohlstandshund erwacht gegen 5 Uhr auf seiner Decke in der Küche im Erdgeschoss, weil der  Metzgermeister die Messer schleift. Die Fleischerfachverkäuferin läuft hin und her, räumt die Theke ein. Den Nicht-Wohlstandshund hätte es wenige Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs wirklich schlechter treffen können. Stattdessen ist er Wachhund in einer Metzgerei.
Eilig nutzt er die Gelegenheit und begleitet die Fleischerfachverkäuferin in den Ladenbereich. Als sie die Tür aufschließt gleitet er am ersten Kunden vorbei hinaus auf die Straße in den gegenüberliegenden Park. Heute wäre das ein Skandal! Das Lebensmittelgeschäft würde von amtswegen sofort dicht gemacht, wenn jemand von solchen Zuständen Wind bekäme. Was der Nicht-Wohlstandshund in den städtischen Grünanlagen treibt, weiß nur er. Eine Leine braucht er nicht. Einen Menschen noch weniger. Beschwerden über ihn gab es nie.
Wenn der Nicht-Wohlstandshund Hunger hat, kommt er wieder zurück in die Metzgerei. Die Fleischerfachverkäuferin hat immer einige Reste übrig. Mal ein Knochen vom Rind, mal ein wenig Schweineschwarte oder auch die würzigen Wursthäutchen. Der Metzgermeister ärgert ihn oft, spritzt ihn mit dem Wasserschlauch nass. Das hasst der Nicht-Wohlstandshund. Einmal hat er es bereits geschafft und den Metzgermeister ins Knie gebissen. Der hat vielleicht gebrüllt!
Auch sonst ist der Nicht-Wohlstandshund nicht zimperlich. Den Schornsteinfeger hat er auch schon erwischt. Der Briefträger hat ebenfalls Angst vor ihm. Seitdem sperrt ihn die Fleischerfachverkäuferin immer weg, wenn einer der beiden kommt. Wenn der Nicht-Wohlstandshund da nicht gleich hört, setzte es auch schon mal was! Aber gegen die Fleischerfachverkäuferin wehrt es sich nicht. Der Nicht-Wohlstandshund steckt die Prügel ein.
Abends wenn sie und der Metzgermeister wieder den Laden leer räumen, beginnt dann die Arbeit des Nicht-Wohlstandshundes. Während die Menschen nach oben in den Wohnbereich gehen, bleibt er unten zurück und bewacht das Haus. Ihm macht das nichts aus. Der Tag war anstrengend. Die Ruhe tut ihm wohl.

Der Nicht-Wohlstandshund wurde im übrigen etwa 15 Jahre alt, bevor die Fleischerfachverkäuferin ihn aufgrund seines Hustens, der in einem Lebensmittelbetrieb als unhygienisch galt, zum Abdecker brachte.

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