Interview zum Thema Handicaphund

Fotos: Madleen Gebel

Lebensfreude 20 +

Madleen Gebel im Interview über das Zusammenleben mit Rolli-Hund Bino


Als Bloggerin und begeisterte Leserin sind mir in den letzten zwei Jahren eine Menge Hunde virtuell begegnet, deren Schicksal mich auf die ein oder andere Weise bewegt haben: Sei es der hüftkranke aber vor Lebensfreude sprühende Enkman, Charlie, dessen Welt aufgrund von PRA (Progressive Retinaatrophie) Monat für Monat immer ein wenig dunkler wurde, die Geschichten um das Hundekind Abby, bei der eine Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert wurde oder auch der Labrador im Huskypelz Kylar, dessen traurige Geschichte zu Tränen rührt.
Wahrscheinlich habe ich noch etliche vergessen. Doch einer soll nicht unerwähnt bleiben. Sein Schicksal hat mich besonders bewegt, weil dieser kleine Hund so ein großer Kämpfer ist. Ich spreche von Bino. Der etwa fünfjährige Mischling lebte die ersten Jahre in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Dort hat ein Auto Binos Leben komplett verändert. Er wurde angefahren und ist querschnittsgelähmt. Seit nun zwei Jahren lebt Bino bei Madleen in München. Und was Anfangs niemand für möglich gehalten hat, ist geschehen: Bino kann heute auf vier Beinen stehen! Auf seine Geschichte wurde ich durch seinen Instagramkanal aufmerksam. Bei jedem neuen Fotopost bin ich mittlerweile gespannt, wie viel Lebensqualität er sich diesmal zurückerobert hat. Mit welchen Therapien Madleen Bino unterstützt und wie ein Leben mit Handicaphund sonst so aussieht, verrät sie im Interview.


Liebe Madleen, schön, dass du uns von dir und Bino erzählen magst. Fangen wir mal ganz von vorne an: Wie habt ihr zueinander gefunden?
Meine Hündin starb nach 19 Jahren 2015. Ich war sehr unglücklich und zog mich damals sehr zurück. Ein Freund zeigte mir Bilder von Hunden, die ein zu Hause suchten und mittendrin sah ich das Bild von Bino. Er hieß damals noch Bim. Sein Foto brannte sich mir sofort ein und die kommenden Tage dachte ich nur an ihn. Ich rief die Dame, die alles vermittelte, an und daraus entwickelte sich die Vereinbarung zur Adoption...

Das hört sich jetzt erst einmal wie eine von vielen tausenden Adoptionsgeschichten an. Der Unterschied ist aber: Bino ist ein Hund mit Behinderung. Ist dir die Entscheidung schwer gefallen, einen Hund, der nicht laufe kann, aufzunehmen?
Es fiel mir nicht schwer, mich für einen Handicaphund zu entscheiden, weil ich mich einerseits in der Lage dazu fühlte, diese Aufgabe zu bewältigen durch meinen Beruf Krankenschwester. Außerdem habe ich meine Hündin lange begleitete und aus dieser Zeit Erfahrung gesammelt im Umgang mit einem kranken Hund. Andererseits muss ich ehrlicherweise sagen: ich hatte noch nie einen Handicaphund. Ich wusste nicht, was mich erwartet. Aber ich habe mich überhaupt nicht vor dieser neuen Aufgabe gescheut.


Es war also schon auch ein wenig Neuland, das du betreten hast. Gab es Anfangsschwierigkeiten?
Ja, am Anfang gab es einige Schwierigkeiten und um diese zu lösen, fehlten mir mögliche Ansprechpartner. Ich suchte mir also Menschen, die mir mit Erfahrungsberichten und Tipps weiterhelfen konnten. Außerdem kam Bim - aus dem schnell Bino wurde - ohne Rollstuhl mit Hautabschürfungen an den Hinterbeinen und den Hoden zu mir. Die entstanden durch das Schleifen auf dem Boden. Die ersten Rollstühle die ich ihm kaufte haben mich viel Schweiß und Tränen gekostet. Ständig ist etwas gebrochen oder kaputt gegangen. Es hat über ein Jahr gedauert bis ich das nötige Wissen darüber hatte, welche Rollstühle es gibt und welche sich am besten eignen. Ein Jahr bin ich nur mit Werkzeug zum Gassigehen gegangen, da immer wieder etwas repariert oder gewechselt werden musste.
Für mich war es außerdem am Anfang unheimlich befremdlich, derart im Mittelpunkt zu stehen. Man fällt mit einem Rollihund immer auf und löst Reaktionen aus. Damit musste ich lernen, umzugehen.
Das erste halbe Jahr hat Bino jede Nacht laut geweint und gejammert. Wenn man ihn aus diesem Zustand geweckt hat, was man einfach musste. Dabei hat er um sich gebissen. Er hat Zeit und Geduld gebraucht.



Du sagst es war schwierig, an Informationen zu kommen, wohl weil nicht jeder Tierarzt oder Hundephysiotherapeut mit solchen Fällen Erfahrung hat. Wo hast du dir Hilfe und Wissen geholt?
Im Internet im Forum für behinderte Hunde www.behinderte-hunde-forum.de und auf Facebook in den Gruppen "gelähmte Hunde / Erfahrungsaustausch" und "Behinderter Hund - Na und?".

Wie verändert Binos Handicap auch dein Leben?
Für mich ist Bino ein normaler Hund. Die neuen Handgriffe werden zur Routine und in seinen Interessen unterscheidet er sich nicht von anderen Hunden. Für mich hat sich geändert: Ich habe das Gefühl, daran gewachsen zu sein, mich mit einem Rollihund behaupten zu müssen. Ich habe es gelernt bestimmte Dinge auszublenden und andere dafür umso mehr zu genießen.


Erklär doch mal mir als medizinischen Laien, was genau Bino hat.
Bino erlitt durch einen Autounfall eine Fraktur der Wirbelsäule, die etwas ineinandergeschoben und leicht schief wieder zusammen gewachsen ist. Es ist vergleichbar mit einem Menschen, welcher im Rollstuhl sitzt.

Auf Instagram verfolge ich schon seit einiger Zeit eure Geschichte und bin fasziniert von Binos Fortschritten. Sehr berührend war es, als ich ihn das erste Mal stehend fressen oder mit dem Schwaz wedeln sah! Wie weit seit ihr bisher gekommen und was habt ihr dafür unternommen?
Bino schafft es mittlerweile fast eine Minute auf 3 oder sogar auf 4 Pfoten zu stehen. Er kann sich selbst hinten aufrichten und korrigiert zum Teil selbständig seine Hinterpfoten in die richtige Position. Ich mache mit ihm Reizstromtherapie, Schwimmen, Massagen, Reflexe testen, unterstütztes Stehen, Behandlungen durch seine Krankengymnastik, Mobilisation ohne Rollstuhl und die Zugabe von Vitaminen.

Ist es möglich, dass Bino wieder laufen lernt?
Bino hatte gute Fortschritte gemacht und ich schätze diese sehr. Ob er einmal laufen wird kann niemand sicher sagen. Realistisch betrachtet würde ich sagen: vielleicht mal einige Schritte.


Woher habt ihr eigentlich diesen schicken Rollstuhl und warum trägt Bino oft Söckchen?
Binos neuer Rollstuhl ist ein Walkinwheel aus den USA - der Mercedes unter den Rollis. Socken trägt Bino, da er sich einerseits schnell aufschürft und andererseits kühlt er an den Pfötchen hinten schnell aus und ist daher sehr anfällig für Infekte.


Ein Hund im Rollstuhl – selbst in einer Großstadt wie München ist das kein gewohnter Anblick. Wie reagieren die Leute auf euch?
Die meisten Menschen sind gerührt oder interessiert und Fragen mich verschiedene Dinge, was mich überhaupt nicht stört. Fast alle Leute schauen. Einige wenige reagieren ablehnend oder werden auch beleidigend. Diesen negativen Reaktionen keine übermäßige Bedeutung zu schenken, fiel mir anfangs schwer, ist heute aber kein Problem mehr. Ich war schon oft überrascht mit welcher Größe und Liebe Kinder reagieren. Kinder haben bei Bino einen ganz besonderen Stand. Er hat ihnen von Anfang an vertraut und freut sich, wenn er sie sieht. Mit Kindern muss Bino gute Erfahrungen gesammelt haben.

Meine Louni ist mittlerweile 13 und ich lass ihr aufgrund ihres Alters und ihrer „Tüddeligkeit“ viel mehr durchgehen als früher. Passiert es dir manchmal, dass du Bino womöglich aus Mitleid mehr durchgehen lässt?
Es ist schon so, dass ich mir denke: Bino erlebt genug Einschränkungen, sodass ich ihm draußen einiges durchgehen lasse, einfach weil ich ihn nicht komplett in seiner kleinen Freiheit beschneiden möchte. Für mich ist das aber vertretbar.

Wenn die Rede von Hunden mit Handicap ist, gibt es immer auch eine Fraktion, die findet: „Das ist doch Tierquälerei! Lieber gleich einschläfern!“ Was entgegnest du solchen Menschen?
Nennen mich Leute auf der Straße einen Tierquäler, gehe ich diesen Gesprächen aus dem Weg. Grundsätzlich ist es so, dass man sich natürlich mit diesem Thema auch beschäftigt und ich auf meinen Hund sehr achte. Bino ist ein junger Rüde, der jeden Tag Spaß hat und seine Zeit draußen genießt. Wenn Bino glücklich ist, dann rennt er mit seinem Rollstuhl und schmeißt dabei seinen Kopf hoch und runter. Dieser Anblick ist so wunderbar... Ich wünsche jedem Menschen einmal so etwas zu sehen. Es gibt niemanden, der dabei kein Lächeln im Gesicht hatte. Es gab für mich noch nie einen Grund in Frage zu stellen, ob Bino glücklich ist...

Auf einer Skala von 1 bis 10 – wobei 10 das höchste ist – wie viel Lebensfreude hat Bino?
20 +

Liebe Madleen, vielen Dank für das Interview!


Kommentare

  1. Ich bin sehr beeindruckt von der Geschichte und finde es toll, dass Bino so ein tolles Zuhause gefunden hat. Zum Glück gibt es Hundehalter, die sich von der Erkrankung /Behinderung eines Hundes nicht abschrecken lassen und die im Falle von Krankheiten zu ihren Fellnasen stehen. Ich denk da zum Beispiel an Anja mit ihrer Hündin Lucy.....

    Was es heißt einen kranken Hund zu haben, weiß ich aus eigener Erfahrung. Und auch bei uns wird vieles zu Routine.... Man lebt damit und die Krankheit gehört zum Leben, ist aber nicht das Leben.....

    Wünsche Bino und seinem mutigen Frauchen alles Gute.....

    Viele liebe Grüße
    Sabine mit Socke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, ich war auch sehr beeindruckt von Madleen und Bino. Die beiden haben meinen vollen Respekt.
      Aber jetzt verrate mir doch mal wer Anja und Lucy sind? Sagt mir grad gar nix... oder ich steh irgendwie aufm Schlauch.

      Löschen
    2. Anja und Lucy vom Blog dunkelbunterhund. Von ihr stammt die Idee des Monatspfotos....

      Löschen
    3. Ah, ja, stimmt... war doch der Schlauch ;)

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts