Alter Hund

 

Wenn der Wohlstandshund alt wird  

 

Der Wohlstandshund schläft und ruht mittlerweile sehr viel. Im Menschenbett will er aber schon seit einiger Zeit nicht mehr schlafen. Womöglich ist ihr der „Einstieg“ zu aufwendig. Denn die Zeiten, leichtfüßig hineinzuspringen und sich geschmeidig zusammenzurollen, sind vorbei. Stattdessen lässt er sich heute unter einem langgezogenen Seufzer in sein Körbchen plumpsen und verfällt in einen Tiefschlaf, aus dem er erst am nächsten Morgen erwacht, wenn das Frauchen mit der Leine klirrt.


Auch beim Spazierengehen hat er schon länger nicht mehr die Nase vorne und wirkt verträumt, wenn er sich hat zurück fallenlassen, weil er sich einmal wieder verschnüffelt hat. Während er früher innerhalb weniger Sekunden einen Geruch als interessant oder uninteressant eingestuft hat, um gegebenenfalls drüberzupinkeln, kann dieses Procedere heute mehrere Minuten in Anspruch nehmen. Manchmal wird es auch gewaltsam durch das Frauchen beendet, wenn dieses aus einiger Distanz ruft: „Lou! Herrgott komm jetzt!“ Der Wohlstandshund setzt dann einen verklärten Blick auf, reißt sich langsam los und beginnt loszutrotten.

Ja, leider „trottet“ er mittlerweile. Die Zeiten des eleganten Schnürens sind vorbei. Selten verfällt er in den behenden Wolfstrab. Meist merkt man ihm die Arthrose an, wenn er hinter Frauchen herzuckelt. Die Hinterbeine erscheinen etwas steif und vorne hat sich ein leises Humpeln eingeschlichen – mal schlimmer, mal weniger. Beim herkömmlichen Spaziergang mit bekannten Wegen ist es schlimmer. Ganz so als hätte der Wohlstandshund hier die Zeit, sich auf seine Wehwehchen zu konzentrieren und sich ein wenig gehen zulassen. Ganz anders beim erkunden neuer Wege: Die Bewegungen werden flüssiger und der Wohlstandshund trabt plötzlich voran. Auch Bälle lassen ihn sein Alter vergessen. Leicht geduckt, mit stechenden Augen umschleicht er das Objekt der Begierde und prescht nach dem  Wurf hinterher, um zu apportieren.  Auch das Wald-und-Wiesen-Agility findet er noch ziemlich klasse und springt unaufgefordert auf Baumstämme, Bänke und Mauern in der Hoffnung Leckerchen abzugreifen. Leider rächen sich solche Aktionen oft am Folgetag, wenn das Hinken wieder schlimmer ist.
„Aber vielleicht ist es das manchmal wert – man kann den alten Hund ja nicht nur hinterhertrotten lassen“, denkt das Frauchen dann.

Das Frauchen denkt überhaupt ziemlich viel und hat große Angst vor dem Tag X... Deshalb hat es den Wohlstandshund erst kürzlich zum Tierarzt geschleppt zum Durchchecken. Neben Abtasten und Abhören wurde dabei gleich ein großes Blutbild sowie ein Analyse des Urins gemacht. Als das Frauchen mit der Suppenkelle hinter dem Wohlstandshund herlief und ihn beim Pieseln störte, fand er das sehr merkwürdig. Das Frauchen auch. Die Nachbarn vermutlich noch mehr.
Die Diagnose nach der ganzen Prozedur: „Ihr Hund ist alt, aber gesund.“ Beruhigend.

Auch optisch  hat sich der Wohlstandshund verändert. Fetter ist er geworden und das Fell wirkt etwas zotteliger und plüschiger, während es früher glatt und glänzend war, eng am Körper lag. Im Gesicht durchziehen immer mehr weiße Haare das einstige Tiefschwarz. Da der Wohlstandshund eine weiße Maske hat, merken flüchtige Bekannte das nicht. Die Farbübergänge sind fließend. Frauchen merkt es und wird manchmal wehmütig. Auch die Augen glänzen nicht mehr so wie früher, blicken oft weniger wach. Wunderschön ist er aber immer noch. Weise wirkt er, als könne ihn nicht mehr viel erschüttern, so als hätte er schon viel gesehen.


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